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31.10.2016, 18:31 Uhr
LR 120
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Das Phänomen gibt es nicht nur bei Turmdrehkranen, sondern bei zahlreichen Investitionsgütern. Bei den TDKs fällt es aber in der Tat besonders auf. Auch in meiner eigentlichen Branche gibt es eine Vielzahl kleiner, aber feiner italienischer "Schmieden", die zudem noch mit sich zum Verwechseln ähnlich aussehenden Produkten lokal konzentriert, oft sogar zu mehreren im selben Industriegebiet eines Ortes ihre Firmenstandorte haben.
Die italienische Wirtschaft wird noch viel stärker als die deutsche von Familienunternehmen dominiert. Diese sind häufig hochspezialisiert (es gibt nach meinem Wissen keinen ital. TDK-Hersteller, der neben TDKs auch noch andere Produkte herstellt), die Fertigungstiefe ist hingegen auch meistens nicht tiefer als nötig. Anders als z.B. bei Liebherr, wo nur ein paar Schrauben und Elektrokomponenten zugekauft werden, alles andere aber aus dem eigenen Haus stammt, greift man auf die ebenso zahlreich vorhandenen lokalen Zulieferer für z.B. Motoren, Getriebe, sogar komplette Turmschüsse, Feuerverzinkerei, Statikbüro,etc. zurück.
Dann ist es letztendlich auch für ein kleines Unternehmen mit einer handvoll Mitarbeitern, nicht mehr schwierig, einen einfachen, robusten Turmdrehkran aus ein paar Stahlprofilen "zusammenzubraten"
Diese Familienunternehmen sind dann wieder zu klein, um für externe Investoren oder als Übernahmekandidaten interessant genug zu sein. Nur die großen Player Simma (Übernahme durch Potain), Comedil (erst Übernahme durch die Casagrande-Gruppe, später Verkauf an Terex) oder Raimondi (gehört inzwischen einem Scheich) sind hier Ausnahmen.
Solche Familienunternehmen können dann dank schlanker Strukturen und frei vom Druck externer Shareholder auch besser die ein- oder ander Krise überdauern, haben andererseits aber oftmals Probleme, Exportmärkte für sich zu erschließen.
Hinzu kommt noch die Marktsituation in Italien: Bei uns in Deutschland ist der Turmdrehkran-Markt, gerade für Obendreher, inzwischen fast ein reines Vermietgeschäft geworden. Turmdrehkrane werden projektbezogen angemietet, Bauunternehmer scheuen die Investition und damit einhergehende Kapitalbindung. Große Mietparkbetreiber dominieren den Markt. In Italien hingegen ist der einzige nennenswerte Großvermieter, die SIME-Group, gerade erst vor wenigen Jahren Bankrott gegangen. Stattdessen werden Turmdrehkrane weiterhin traditionell von Bauunternehmern gekauft (Im italienischen Pendant zum Hansebube-Forum, dem Forum-Macchine, wo ich auch mitlese, tauchen im TDK-Brett regelmäßig Kaufberatungs-Threads investitionswilliger Bauunternehmer auf.), daneben decken vornehmlich kleine, lokal oder regional agierende Kranvermieter (ebenfalls Familienunternehmen), den Markt vollständig ab. Diese sind entweder mit "Ihrem" Kranhersteller per Du, oder haben sich ein bunt gemischtes Sammelsurium verschiedenster Hersteller auf dem Hof liegen.
Ein weiterer Aspekt ist aber auch folgender: Der TDK, wie wir in heute kennen, ist ein Kind des Wiederaufbaus nach dem Krieg und der sich anschliessenden Wirtschaftswunderjahre. In dieser Zeit stiegen die meisten Hersteller ein und wurden die wesentlichen technischen Entwicklungen getätigt. Viele deutsche Hersteller haben aber den entscheidenden Schritt in den 60er/70er-Jahren vom Nadel- zum Katzausleger nicht richtig oder zu spät gemacht und hingen damit hinterher, weswegen sie auf der Strecke geblieben sind. In Italien, wo auch das Wirtschaftswunder mit einigen Jahren Verspätung einsetzte, war der Nadelausleger immer nur eine Randerscheinung, Standard war von Anfang an der Katzauslegerkran.
In den 1990er und 2000er Jahren, die in Deutschland von einer langandauernden Krise der Bauwirtschaft gekannzeichnet waren, die sich dementsprechend auch auf die Baumaschinenindustrie auswirkte, war die Bautätigkeit in Italien weiterhin hoch, dementsprechend hoch auch die Nachfrage nach Baumaschinen |