006 — Direktlink
12.06.2004, 20:55 Uhr
Sebastian Suchanek
Admin
|
Hallo Leute!
Ich möchte doch noch ein paar Dinge zur Frage "pro und contra Windkraft" anmerken, die aber wohl hier im OT-Brett besser aufgehoben sind.
Zitat: | UNN postete Laßt uns doch lieber Gedanken machen, wie wir die Probleme der Feuerbekämpfung, Lärm?Geräuschreduzierung und den Eissturz in Griff bekommen als diese doch recht akzeptable Alternative gleich wieder zu vertäufeln.
|
Mach Euch in diesem Zusammenhang auch bitte Gedanken, wie Ihr die technischen Kollateralschäden in den Griff bekommt. Was ich damit meine? Dazu muß ich etwas weiter ausholen:
Es gibt (leider) im Zusammenhang mit unserer elektrischen Energie ein paar grundlegende Probleme:
Problem Nummer 1: Elektrische Energie ist in den Größenordnungen, über die wir hier sprechen, mit heutigen technischen Mittel nicht praktikabel speicherbar. Das führt zwangsläufig dazu, daß immer exakt soviel Energie "erzeugt" werden muß, wie momentan "verbraucht" wird. (Ich setzte hier "erzeugen" und "verbrauchen" in Anführungszeichen, weil Energie ja nicht tatsächlich erzeugt oder verbraucht wird, sondern nur von der einen in die andere Form umgewandelt wird. Siehe Energieerhaltungssatz. Für den Rest des Postings die Anführungszeichen bitte jeweils selbst dazudenken. )
Problem Nummer 2: Der Energie-Verbrauch setzt sich aus lauter Individualentscheidungen zusammen, die sich in der Summe relativ chaotisch verhalten. (Ihr schaltet ja schließlich das Licht an und aus wann Ihr Lust habt, und nicht, wenn es Euch irgendwer anordnet.) Das führt dazu, daß sich der jeweils aktuelle Energieverbrauch nicht exakt vorhersagen läßt. (Mit Hilfe der Statistik kann man zwar immerhin gewisse Tendenzen vorhersagen [Mittagsspitze, im Winter mehr als im Sommer, usw.], aber optimal ist das nicht.)
Problem Nummer 3: Großkraftwerke z.B. im gut dreistelligen Megawatt-Bereich lassen sich nicht "von jetzt auf gleich" an- oder abschalten. (Jedenfalls nicht, wenn man auf Notfallmaßnahmen verzichten will.)
So gesehen ist jetzt schon IMHO eine ziemliche Meisterleistung der Regelungstechnik, daß zumindest im nationalen Bereich weitestgehend dezentral (Für den europaweiten Stromhandel gibt es ja in Luxemburg(?) eine Zentrale.) die Energieversorgung stabil(!) sichergestellt ist.
Jetzt ist es aber so, daß in den letzten Jahren die Windkraft einen immer größeren und mittlerweile spürbaren Anteil der Energie-Erzeugung übernommen hat. Das Problem mit Wind ist jedoch ein ganz offensichtliches: Manchmal weht er und nachmal weht er nicht. (Und wenn er weht, dann in ganz unterschiedlichen Stärken.) Da AFAIK im Prinzip jede einzelne WKA autonom entscheidet, wann sie Energie ins Netz einspeist und wann nicht, verhält sie sich aus der Sicht der EVUs wie ein Verbraucher: unberechenbar. Und das ist natürlich in sofern schlecht, als daß die Kraftwerke eigentlich als Regeler für Netzspannung und -Frequenz dienen sollen und müssen, da sie die einzigen nennenswerte Elemente im Verbundnetz sind auf die die EVUs Einfluß haben.
(Diese Instrumente den EVUs [teilweise] aus der Hand zu nehmen, ist natürlich technisch in sofern törricht, als daß die EVUs AFAIK gesetzlich dazu verpflichtet sind, die Netzspannung stets in vergleichsweise engen Grenzen zu halten, die Netzfrequenz von 50Hz sogar in sehr engen Grenzen. Darüberhinaus wird sich wohl kaum jemand ein instabiles und schlecht geführtes Stromnetz wünschen. Wozu das führt, haben die Stromausfälle im letzten Jahr in Italien und den USA gezeigt. [Auch wenn diese Blackouts unmittelbargesehen andere Ursachen hatten.])
Das bedeutet, daß das Verbundnetz nun spürbar stärkeren Schwankungen unterliegt als zuvor, was wiederrum bedeutet, daß Großkraftwerke öfter Teillast und/oder herauf- oder herunterfahren müssen, um diese Schwankungen auszugleichen. Das allerdings ist nun absolutes Gift für die Effizienz, denn wie die meisten anderen Maschinen arbeiten auch Kraftwerke am effektivsten bei (oder zumindest dicht in der Nähe von) Nennlast. Großkraftwerke ineffektiv zu betreiben ist nun aber auch in niemandes Interesse: Nicht nur in finanzieller Hinsicht, weil steigende Kosten natürlich nicht auf Dauer am EVU hängen bleiben, sondern über kurz oder lang auch an den Verbraucher weitergegeben werden, sondern auch in ökologischer Hinsicht, weil damit natürlich auch ein erhöhter Schadstoffaustoß pro erzeugter kWh verbunden ist.
Was also tun? - Fossile Brennstoff (Öl, Kohle und Gas) scheiden aus, weil sie die Umwelt belasten und ohnehin nur noch längstens 20 Jahre verfügbar sein werden. - Atomenergie ist hierzulande (momentan) politisch nicht durchsetzbar. (Auch wenn z.B. in Frankreich fast ausschließlich AKWs betreibt und IIRC in Skandinavien unlängst ein neues(!) AKW eröffnet wurde.) Im Gegenteil fällt der Anteil an Atomenergie in den nächsten Jahren bzw. Jahrzehnten in Deutschland per Gesetz verordnet weg. - Wasserkraft hat zwar in Deutschland noch ein gewisses Steigerungspotential, aber für eine flächendeckende Versorgung reichen die Resourcen nicht. (Wobei im Übrigen Umweltschützer erfahrungsgemäß auch immer die ersten sind, die gegen eine neue Staustufe oder einen Stausee protestieren.) - Solarenergie ist prinzipbedingt mit den gleichen Problemen behaftet wie Windenergie. Zumal auch gerne übersehen wird, daß man zur Herstellung von Solarzellen Reinstsilizium braucht, das ebenfalls äußerst energieintensiv hergestellt werden muß. - Geothermie und Biomasse hätten durchaus Potential, jedoch steckt insbesondere ersteres hierzulande noch im Versuchsstadium (Island hingegen versorgt seinen Eigenbedarf (fast?) vollständig damit), außerdem stellt sich auch hier die Frage, ob es für eine flächendeckende Versorgung ausreicht. - Brennstoffzellen benötigen zum Betrieb Wasserstoff, der zuvor mittels elektrischer Energie aus Wasser gewonnen werden muß - hier beißt sich die Schlange also in den eigenen Schwanz.
Was also tun? Ein Ansatz, der IMHO helfen könnte, die gegenwärtige Situation zumindest etwas zu entschärfen, ist Energiesparen. Das Einsparpotential z.B. durch die ach so beliebten Stand-by-Schaltungen in Consumer-Produkten (und natürlich auch anderen Energiefressern) ist nicht zu unterschätzen.
<meine persönliche Meinung> Außerdem sollte man noch einmal in Ruhe(!), unabhängig von emotionalen Argumenten und natürlich auch unter Berücksichtigung von Sicherheitsaspekten darüber nachdenken, ob der Ausstieg aus der Atomenergie wirklich der Weisheit letzter Schluß war. Ja, ich weiß, diese Meinung ist unpopulär, aber wer für oben genannte Probleme ander Auswege hat, ist herzlich eingeladen, sie vorzustellen. </meine persönliche Meinung>
So, dieses Posting ist leider etwas länger geworden, aber möchte zumindest von meiner Seite her vermeiden, daß die Diskussion hier irgendwie hitzköpfig oder unüberlegt erscheint. Alles, was ich hier geschrieben habe (mit Ausnahme des "Meine-Meinung"-Absatzes), sind nach bestem Wissen und Gewissen (teilweise aus dem Gedächtnis gekramten) Fakten, aber sollen keine subjektive Stimmungsmache sein.
Tschüs,
Sebastian -- Baumaschinen-Modelle.net - Schwerlast-Rhein-Main.de Dieser Post wurde am 12.06.2004 um 20:55 Uhr von Sebastian Suchanek editiert. |