077 — Direktlink
20.08.2017, 21:25 Uhr
Sebastian Suchanek
Admin
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OK, dass da in Kürze ein massiver Betonpfropfen von 150-200m Länge in der Oströhre steckt, ist also Fakt. Ebenso Fakt ist, dass diese Bahnstrecke dringend gebraucht wird und Deutschland eigentlich sowieso schon massiv den Ausbauten der Nachbarländern hinterher hinkt. (Die Strecke dient u.a. auch als "Zubringer" zum Gotthard-Basistunnel...) Die Neubaustrecke muss also irgendwie fertig werden. Ich würde gerne noch einmal die Möglichkeiten zum Weiter-/Fertigbau durchdeklinieren:
1. Den angefangenen Osttunnel komplett aufgeben. Für einen kompletten Neubau hätte man drei Optionen: a) Den "neuen" Osttunnel östlich des bisherigen Osttunnels anlegen: Da würde man genau unter dem Wohngebiet in Niederbühl landen, an dem man sich bei der ursprünglichen Planung gerade so vorbeigezwängt hat. Problem dabei: Angesichts des Unfalls dürften sämtliche Anwohner auf die Barrikaden gehen und man hat - wenn man nicht gerade Wohnhäuser einfach abreißen will - keinen Platz für Vereisungsschächte. b) Die bisherige Weströhre zur neuen Oströhre umfunktionieren und die Ersatzröhre westlich der beiden angefangenen Röhren anlegen. Da stünde auf Höhe Niederbühl die Turnhalle im Weg, aber die könnte man wohl - eher als Wohnhäuser - im Bedarfsfall abreißen und einen Ersatz-Neubau daneben stellen. Außerdem müssten die "Zufahrtströge" zu den Tunnels umgebaut werden, um die entsprechende Streckenverschwenkung zu ermöglichen. Da wäre am Startschacht der TBMs die B36 im Weg - die ließe sich sicherlich verlegen, allerdings wäre das aufwändig, zumal da auch noch die B3 mit einer Brücke die B36 und die Neubautrasse kreuzt. c) Auf der Linie der bisherigen Oströhre, jedoch darunter bohren: Wenn man sich nicht eine zweite Spessartrampen-Umfahrung bauen will, müsste man die Rampen bzw. Tröge an den anderen Enden extrem verlängern, denn man müsste grob geschätzt 15m (Tunnelhöhe plus ein Mindestmaß an Überdeckung zur havarierten Röhre) tiefer kommen. In jedem Fall wäre diese Variante aber extrem zeitaufwändig, da der Tunnel ja nicht nur aus den "paar Metern" unter der Bestandstrasse besteht, sondern ist insgesamt gut 4km lang.
2. Eine weitere TVM von der anderen Richtung her ansetzen. Das halte ich auch nicht für realistisch. Erstens bräuchte man überhaupt erst einmal eine weitere TBM, deren Bau würde Monate dauern. Man müsste die aktuell gefluteten Tröge südlich des Tunnels zu einem Startschacht umbauen (wäre vielleicht mit vertretbarem Aufwand zu schaffen). Und, last but not least: Die neue TBM könnte nur bis zum Schild der havarierten TBM bohren, womit das Problem des 150-m-Betonpropfens nicht gelöst wäre. Selbst wenn man die Ersatz-TBM so ertüchtigen würde, dass sie sich durch den Betonpfropfen und die Nachläuferwagen schneiden könnte - sie müsste zuerst durch das Schild der havarierten TBM durch und das halte ich für unrealistisch.
3. Den Osttunnel vom südlichen Vereisungsschacht her bergmännisch (also ohne TBM) bis zur havarierten TBM auffahren. Das müsste dann wegen der Grundwassers wohl unter großzügiger Bodenvereisung geschehen. Wenn man an der havarierten TBM angekommen ist, müsste man unter Tage das Schneidrad demontieren (de facto "kleinbrennen"), abtransportieren und sich danach quasi in Handarbeit durch den Betonpfropfen mit der darin eingegossenen TBM arbeiten. Das müsste auch extrem vorsichtig geschehen, weil man anscheinend nicht so genau weiß, wo und wie groß der Schaden an den Tübbingen tatsächlich ist. Wenn man hier zu unüberlegt vorgeht, dürfte das ganze Spielchen mit Tagesbruch wieder von vorne losgehen. Der Tunnelbruch wäre dabei wahrscheinlich die größte Herausforderung: Den müsste man bei anstehendem Grundwasser(!) irgendwie repariert bekommen, sodass dabei - auch aus den benachtbarten Tübbingringen - nichts nachbricht und es danach auch dauerhaft hält. Und das alles natürlich unter Sicherheit für die Arbeiter dort unten. Alles in allem meiner Meinung nach in der Ausführung extrem kniffelig und langwierig, aber wahrscheinlich doch zeitlich kürzer als Variante 1.
4. Wenn der Propfen gut ausgehärtet ist, von Norden her anfangen, ihn wieder abzutragen - wie bei Variante 3 quasi wieder in Handarbeit. Dabei hoffen, dass die TBM und insbesondere deren Kopf das Einbetonieren relativ gut überstanden hat und man sie nach einigen vergleichsweise überschaubaren Reparaturen wieder in Betrieb nehmen kann. (Notfalls neue Nachläufer von Herrenknecht bauen lassen und die alten komplett ersetzen.) Danach den Tunnel wie gewohnt fertig bohren. Problem dabei: das ist ein ziemliches Spiel auf Risiko: Erstens weiß man nicht, ob sich der Aufwand lohnt, d.h., ob die TBM auch nur ansatzweise noch zu retten bzw. wieder in Betrieb zu nehmen wäre. Und zweitens hat man immer noch das Problem des Tunnelsbruchs, den man irgendwie wieder flicken müsste - siehe Variante 3.
5. Die Schadstelle von oben her freilegen und danach gleich den ganzen Tunnel in offener Bauweise fertig bauen. Ganz massives Problem dabei: Die Bestandsstrecke. a) Die Bestandsstrecke sperren und für die Bauzeit gesperrt halten: ziemlich illusorisch. Eine solche Aktion würde im zweistelligen Monatsbereich dauern und die aktuellen Ausweichrouten sorgen jetzt schon für massive Probleme. OK, im September soll wohl eine aktuell ebenfalls wegen Bauarbeiten gesperrte Bahnstrecke wieder zur Verfügung stehen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass die einen vollwertigen Ersatz darstellt. Schon alleine deswegen nicht, weil auf dieser Strecke normalerweise ja auch schon Züge fahren. Umleitung über Frankreich geht, soweit ich das verstanden habe, auch nicht, weil Frankreich wohl komplett andere Fahdrahtspannungen und Sicherungssysteme einsetzt als die DB. b) Die Baustelle mit Behelfsbrücken überbrücken: Scheidet wegen zu großer Brückenlänge aus, siehe Posting #074. Selbst, wenn die Bahn genug SKB-Teile für zwei 120-m-Brücken hintereinander hätte (und das zweimal nebeneinander für zwei Gleise) und man irgendwie alle benötigten Widerlager an die jeweiligen Stellen gebastelt bekäme: Man hätte dann die mittleren Stützpfeiler mitten in der Neubautrasse stehen. Wie wollte man die dort wieder wegbekommen, ohne die Bestandstrasse wieder auf Wochen oder gar Monate zu sperren? c) Die Bestandstrasse provisorisch umlegen. Wegen Niederbühl bliebe da nur eine westliche Schleife. D.h., die oben bereits erwähnte Turnhalle müsste auch hier 'dran glauben - das wäre aber wohl verschmerzbar. Die entsprechenden Genehmigungen wären evtl. aufgrund der "Notsituation" vergleichsweise schnell einzuholen. Alles in allem ein relativ "crazy" Ansatz, aber meiner Meinung nach grundsätzlich möglich.
Damit bleiben aus meiner Sicht an halbwegs realistischen Möglichkeiten 3, 4 und 5c) übrig. Was meint Ihr dazu? Was habe ich übersehen?
Tschüs,
Sebastian
PS: Ich hoffe, die Verantwortlichen waren so geistesgegenwärtig, vor dem Betonieren durch die gebohrten Löcher 'mal eine Kanalkamera o.ä. hinunterzulassen, um wenigstens ansatzweise eine Schadensaufnahme machen zu können.
. -- Baumaschinen-Modelle.net - Schwerlast-Rhein-Main.de Dieser Post wurde am 20.08.2017 um 22:26 Uhr von Sebastian Suchanek editiert. |