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04.12.2004, 20:11 Uhr
Hendrik
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Der verlorene 2. Weltkrieg stellt in Deutschland wie in keinem anderen Industrieland eine gewaltige Zäsur dar. Mindestens 40% aller Baumaschinen sind zerstört, der Rest ist überaltert. Eine vom Hauptverband der deutschen Bauindustrie Ende 1948 durchgeführte Gerätebestandserhebung ergibt eine Anzahl von lediglich 237 funktionstüchtigen, aber weitgehend ortsfesten Bau-/Turmdrehkranen bzw. Portalkranen, die nur auf großen und länger andauernden Baustellen sinnvoll eingesetzt werden können. Diese Krane sind mit Nadel- oder Katzausleger ausgerüstet, und ihre Montage und Demontage ist nur mittels extra zu installierender abgespannter Nadel bzw. eines Seilderrickkrans möglich und zeitlich daher sehr aufwendig. Da die deutsche Bauwirtschaft nur eine äußerst dünne Kapitaldecke aufweist, muß sie - anders als in anderen Ländern - darauf bedacht sein, beim Umsetzen von Baumaschinen und Kranen die Kosten für ihren Transport und den Auf- und Abbau besonders niedrig zu halten. Daher wird - zunehmend ab 1946 - angesichts der Zerstörungen und der zu erwartenden umfangreichen Bautätigkeiten die Forderung nach leichten, preiswerten und einfach umsetzbaren Baukranen erhoben. Anfragen im europäischen Ausland und in den USA ergeben hierfür keine zufriedenstellenden Lösungen.
Der Gedanke des Baumeisters Hans Liebherr (geb. 1. April 1915) ist es, Turmdrehkrane zu bauen, die sich mit eigener Kraft aufrichten bzw. ablassen, und die unzerlegt auf der Straße von einer Baustelle zur anderen gefahren werden können. 1949 gelingt es ihm (zusammen mit einem Konstrukteur, einigen Schlossern und befreundeten Schmieden), nach dieser Grundsatzidee seinen ersten Turmdrehkran zu bauen, den "TK 10" mit einem Lastmoment von 10 mt.
1950 steht bereits eine ganze Typenreihe: TK 3,6 / TK 8 / TK 10 und TK 14. 1952 wird Liebherrs Biegebalken-Ausleger durch den schlankeren und leichteren Nadelausleger abgelöst. 1953 führt Liebherr die Rückverspannung ein, d.h. das Einziehseil (Auslegerverstellseil) wird auf der Turmrückseite zwischen einem oberen und unteren Rollenbock flaschenzugartig eingeschert. Gleichzeitig dient dieses Einziehseil ebenfalls zum Hochziehen und Ablassen des Turms, so daß auf das bisher verwendete Montageseil samt Aufstellbock zum Hochziehen/Ablassen des Turms verzichtet werden kann.
1954 hat der größte Liebherr-Turmdrehkran ein Lastmoment von 40 mt (TK 40); jedoch weist er bereits eine Transportlänge von über 30 m auf, was aufgrund des zunehmenden Straßenverkehrs sowie den engen Platzverhältnissen auf Baustellen problematisch wird. Diese Überlegung führt Liebherr 1955 zur Entwicklung des Teleskopturms, bei dem die obere Turmhälfte beim Transport in die untere Turmhälfte eingeschoben wird. Damit nicht genug; 1955 führt Liebherr ebenfalls ein neues Spreizholm-Unterwagenfahrwerk ein, welches verschiedene Spurweiten des Turmdrehkrans ermöglicht, sowie die Kugeldrehverbindung zwischen Ober- und Unterwagen, die die klassische Drehstuhl-/Druckrollenlagerung ablöst. Die Typenbezeichnung dieser neuen Liebherr-Nadelausleger-Krane von 1955 ist "A", und das Programm umfaßt den 4 A, 8 A, 14 A, 20 A, 25 A, 32 A, 40 A und 50 A (Zahl: Metertonnen). 1958 führt Liebherr für diese "A"-Krane neue Auslegersysteme ein, bei denen durch Herausnehmen oder Einsetzen von Zwischenstücken die Ausleger verkürzt oder verlängert werden können, desweiteren gibt es optional die zweisträngige Anordnung des Hubseils sowie einen Schwerlasthaken für "Schwerlasteinsätze". Der 50 A schafft beispielsweise damit im Schwerlasteinsatz 72 mt (12 Tonnen auf 6 m) und wird in dieser Konfiguration als 50 A/72 bezeichnet.
In Großstädten setzt sich der Trend zu Hochhäusern immer mehr durch; und Liebherr experimentiert ab 1955 mit verschiedenen Systemen, um dem Hochhausbau gerecht zu werden, beispielsweise mit sehr hohen Nadelausleger-Turmdrehkranen, die er „AH“-(„Hochhaus“) und „B“-Reihe nennt, mit Ausleger-Anlenkpunkthöhen von über 55 m, sowie spezielle in sich drehbare Turm-Führungsringe (drehbare Verankerungen) am Gebäude; doch es wird schnell klar, daß die Vergrößerung der Baureihe A zum Hochhausbau wirtschaftlich nicht sinnvoll ist. Diese Erprobungsergebnisse münden bei Liebherr 1956 in die Produktion einer komplett neuen Serie von Turmdrehkranen; es handelt sich dabei um obendrehende Nadelausleger-Kletterkrane, die als H-Serie bezeichnet wird ("H" für Hochhaus). Sie gibt es als 15 H, 25 H, 32 H und 40 H. Ab 1958 gelingt es Liebherr, durch verschiede Kombinationsmöglichkeiten von Turmteilen, Unterwagen, Drehbühnen und Führungswagen, einen "Universalkran" auf den Markt zu bringen, der alle Vorzüge sämtlicher oben genannter Krantypen der A-, B-, AH- und H-Serie vereinigt; diese Serie wird "HB" genannt, und kann entweder stationär als Kletterkrane für große Bauwerke eingesetzt werden (auf einem Fundament stehend), oder aber schienen-/straßenverfahrbar auf einem Unterwagen wie die Nadelausleger-Krane der bekannten "A"-Serie. Es werden der 25 HB, 36 HB und 50 HB produziert; ab 1972 noch der 90/180 HB. Diese HB Krane haben einen hydraulisch verstellbaren Ausleger, was ein Steilstellen des Auslegers in eine fast senkrechte Stellung ermöglicht. Ein Gegenausleger ist nicht vorhanden, was den Einsatz bei beengten Baustellen wesentlich erleichtert. Das Aufstocken des Turmes geschieht dadurch, daß mit dem eigenen Lasthaken ein neues Turmstück von oben durch den Kugeldrehkranz auf das bisherige oberste Turmstück aufgesetzt und verschraubt wird. Das Hochklettern des Turms erfolgt anfangs mit Seilen, später ebenfalls hydraulisch.
Ab 1960 wird die Liebherr A- und HB-Reihe ergänzt durch Katzausleger-Krane einer neuen "K"-Reihe, die selbstverständlich ebenfalls wieder - so steht es in Liebherrs Lastenheft - unzerlegt transportierbar und ohne Hilfskran aufzustellen sind. Es handelt sich um Katzausleger-Untendreher mit Teleskopturm, bestehend aus den Typen 6 K, 9 K, 10 K, 12 K, 15 K, 22 K/32, 32 K/45, 45 K/80 (letztere drei mit Schwerlasteinrichtung). Diese Krane werden auch Schnelleinsatzkrane genannt.
Parallel zu diesen K-Kranen werden von Liebherr ab 1960 ebenfalls Katzausleger-Obendreher mit Gegenausleger entwickelt, die nach der A-, HB-, K-Reihe nun den Namen "C"-Reihe erhalten.
Hauptsächlich Hans Liebherr ist es zu verdanken, daß der Turmdrehkran wie kein anderes Baugerät in der Nachkriegszeit eine so starke Verbreitung erreicht hat. Nach 237 Stück zum Stichtag 01.01.1949 gab es im Juli 1951 bereits 800, im Juli 1952 1300, im Juli 1953 2000 und Ende 1954 mehr als 3500 Turmdrehkrane in Deutschland. Liebherr war mit großem Abstand der Marktführer in diesem Segment. Am 11. Januar 1964 wurde Hans Liebherr von der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen insbesondere für diese (aber noch weitere) Leistungen auf dem Gebiet der Baumaschinen die Würde eines Dr.-Ing. h.c. (ehrenhalber) verliehen.
Neben Liebherr produzierten unter anderem folgende Firmen ebenfalls Turmdrehkrane in der Nachkriegszeit in (mehr oder weniger kleinen) Serien:
Leo Gottwald / Werk Düsseldorf Maschinenfabrik Julius Wolff & Co. GmbH Karl Kässbohrer Fahrzeugwerke GmbH Eisenwerke Kaiserslautern Mannheimer Baumaschinenfabrik GmbH Hüttenwerke Sonthofen Weisserth & Hieber GmbH Baumaschinenwerk Lübeck GmbH Carl Urban, Stanzwerk und Maschinenfabrik Karl Pescke, Baumaschinenfabrik Friedrich Wilhelm Schwing GmbH Krangemeinschaft Hilgers AG/Vögele AG Norddeutsche Schrauben- und Mutternwerke AG Otto Kaiser KG Maschinenfabrik Wilhelm Reich Maschinenfabrik Dieser Post wurde am 29.03.2013 um 18:43 Uhr von Hendrik editiert. |