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06.06.2017, 11:22 Uhr
Patent
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Ausführungen zur Monobogenbrücke Ich habe mit meinem Architekten-Freund die Angelegenheit nochmals besprochen und dabei festgestellt, dass ich tatsächlich einem Missverständnis aufgesessen bin. Das liegt daran, dass verschiedene Wissenschaften unterschiedliche Fachsprachen haben. Ein Physiker wie ich versteht daher unter dem gleichen Begriff etwas Anderes als ein Architekt. Um die Sache zu verdeutlichen muss ich nun aber etwas weiter ausholen.
Herkömmliche Monobogenbrücken Um die Erklärungen verständlicher zu machen beginne ich mit einer üblichen Monobogenbrücke, wie die Monobgenbrücke-Gelsenkirchen. Diese Fußgängerbrücke besitzt eine kurze Spannweite und eine geringe Tragkraft. Die Abspannkabel sind annähernd vertikal ausgerichtet, soweit dies bei dem Winkel zwischen dem Bogen und dem Überbau möglich ist.
Der Bogen ist vor dem Verlegen der Abspannkabel quer zur Bogenebene instabil, lässt sich in diese Richtung also einfach verformen. Innerhalb der Bogenebene ist er relativ stabil, da er klein und folglich stark gekrümmt ist. Aus dieser Krümmung bezieht er seine Stabilität. Trotzdem darf der Bogen vor dem Verlegen der Abspannkabel nicht all zu sehr belastet werden, um sich nicht nicht dauerhaft zu verformen.
Bei der in Bezug genommenen Brücke ist dies auch kein Problem, da die Abspannkabel nahezu vertikal verlaufen. Die cosh-förmige Durchhängung eines Kabels wird umso größer, je geringer seine Spannkraft und je vertikaler seine Lage ist. Ein vertikales Kabel hängt gar nicht durch, ein nahezu vertikales Kabel eben nur wenig. Damit ist die von der Durchhängung resultierende Verkürzung des Abstandes der Kabelenden auch bei moderaten Zugkräften klein. Diese Verkürzung ist bei der Montage wichtig, da das Abspannkabel in die Spannhülsen am Überbau eingefädelt werden muss. Aufgrund der nahezu vertikalen Kabelausrichtung und dem relativ stabilen Bogen können die Kabel in diesem Fall recht einfach eingefädelt und montiert werden. Diese Monobogenbrücke stellt daher keine großen Herausforderungen.
ST2312-Brücke Die wesentlichen Unterschiede zur oben genannten Brücke sind die wesentlich größere Spannweite, die größere Traglast und die nahezu horizontalen Abspannungen. Diese Unterschiede summieren sich zu erheblichen Problemen, auf die ich im Folgenden eingehen werde:
Die große Spannweite ist eine Folge der breiten A3-Fahrbahn, des Einschnittes im Brückenbereich und des flachen Kreuzungswinkels. Als Folge dieser großen Spannweite ist ein großer Bogen mit geringer Krümmung erforderlich. Nachdem der Bogen seine Stabilität aus der Krümmung bezieht, ist dieser relativ instabil. erst wenn die Abspannkabel montiert sind, wird er stabil, da die Abspannkabel wie ein Fachwerk wirken. Die Brücke muss auch relativ hohe Traglasten verkraften, so dass das Vorsehen von größeren Tragreserven am Bogen richtig teuer wird. Eine Bogenverstärkung kommt daher nicht in Frage. Die Änderung mit den größten Auswirkungen ist aber die Ausrichtung der Abspannkabel. Diese verlaufen eher horizontal als vertikal. Damit ergibt sich bei der Montage eine wesentlich größere Durchhängung.
Genau an diesem Punkt unterlag ich dem angesprochenen Missverständnis. Für einen Physiker ist ein spannungsfreies Kabel ein Kabel mit der Spannkraft null, oder, wenn man wieder einmal die Schwerkraft nicht ausschalten kann, ein Kabel, welches ausschließlich durch die Schwerkraft belastet ist. Für einen Architekten ist dagegen ein spannungsfreies Kabel ein Kabel, welches soweit gespannt wird, dass es in den Spannhülsen montiert werden kann. Die Vorstellungen beim gleichen Begriff weichen also erheblich voneinander ab.
Um das Abspannkabel bei der St2312-Brücke in die Spannhülse einführen zu können, muss man erhebliche Zugkräfte ausüben. Sonst hängt es so sehr durch, dass dessen Ende nicht mehr bis zur Spannhülse reicht. Diese Zugräfte aufzubringen, ist grundsätzlich kein Problem. Man müsste den Kran nur in der Flucht zwischen der Öse am Bogen und der Spannhülse, aber unterhalb zu diesen positionieren und in Abspannrichtung schräg nach unten ziehen. Aber der Bogen hält die dabei ausgeübte, erhebliche Spannkraft nicht aus. Es kann dieser Spannkraft erst widerstehen, wenn eine ausreichende Anzahl von Abspannkabeln montiert ist. Und hier wird nun das Problem offensichtlich. Erst wenn genügend Abspannkabel montiert sind, wird der Bogen so stabil, dass man die Abspannkabel montieren kann. So geht es also nicht.
Man muss bei der Montage der Abspannkabel dafür sorgen, dass deren Enden hinreichend weit entfernt sind, um sie an den vorgesehenen Stellen montieren zu können, darf dabei aber nicht die dafür erforderlichen Zugkräfte auf den Bogen ausüben. Zur Lösung dieses Problems kommen nun die Stahlschienen ins Spiel. Sie sorgen nur dafür, dass die Abspannkabel die erforderliche Länge (=Abstand zwischen den Enden) haben, ohne erhebliche Zugkräfte ausüben zu müssen. Damit können sie in den Spannhülsen montiert werden, ohne den Bogen übermäßig zu beanspruchen. Ist eine ausreichende Anzahl von gegenläufigen Abspannkabeln auf diese Weise montiert, können die Stahlschienen entfernt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Abspannkabel nicht notwendigerweise gespannt werden müssen. Auch im quasi ungespannten Zustand geben sie dem Bogen ausreichend Stabilität, da sie sich spannen, wenn der Bogen aus seiner Neutrallage ausgeschwenkt wird. Sind genügend Abspannkabel montiert, wird die weitere Montage zunehmend unkritischer.
Das Spannen der Abspannkabel ist natürlich alles andere als trivial. Spannt man ein Kabel, so verformt sich der Bogen ein wenig, was die Spannung an anderen Kabeln erhöht. Daher darf man die Kabel nur ein wenig und in einer genau festgelegten Reihenfolge reihum spannen, bis der gesamte Überbau an den Abspannkabeln hängt. Selbst Temperaturänderungen während der Montage können da zum Problem werden.
Zusammenfassung Die Stahlschienen dienen - wie ich früher geschrieben habe - dem Schutz des Bogens und nicht des Kranes. Falsch war jedoch meine Aussage, dass die Schwere der Kabel ein Problem darstellt. Hier muss ich mich korrigieren. Das Problem liegt in der erforderlichen Zugkraft auf den Bogen, wenn das Kabel montiert wird. Diese Zugkraft wird durch die Versteifung der Kabel mittels der Stahlschienen ersetzt. Damit wird das Problem gelöst, dass man sonst die ersten Kabel erst montieren dürfte, wenn bereits genügend Kabel montiert sind, um den Bogen zu versteifen.
Man sieht, dass die Monobogenbrücke mit all ihren Problemen eine herausragende Ingenieurleistung darstellt. Zugunsten des Designs wurden erhebliche Probleme in Kauf genommen, um ein ansprechendes Bauwerk zu schaffen. Vielleicht sieht nun jeder, der diese Ausführungen gelesen hat und auf der neuen A3 unter der Monobogenbrücke durchfährt diese Brücke mit etwas anderen Augen. Dieser Post wurde am 06.06.2017 um 18:53 Uhr von Patent editiert. |